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Griechischer Nationalismus & Vier Kriege

Chapter 1, parts 2-3 of
And Time Rolls On: The Savitri Devi Interviews

(Atlanta, Georgia: Black Sun Publications, 2005)

von Savitri Devi
Ediert von R.G. Fowler
Übersetzt von Wilhelm Hartmann

2. Griechischer Nationalismus
Natürlich wurde ich christlich großgezogen. Ich wurde getauft. Meine Eltern heirateten in der anglikanischen Kirche. Ich wurde dort getauft und wechselte zur griechischen Kirche in Lyon. Ich würde nicht sagen, daß ich nochmals getauft wurde, weil es keine Zweittaufe gibt, aber mir wurde die Möglichkeit gegeben, der griechischen Kirche beizutreten. Ich wurde zwischen den englischen Freunden meiner Mutter und der wachsenden griechischen Gemeinde Lyons groß, hauptsächlich Griechen aus Asia Minor, vor allem von 1922 an.

Ich fühlte mich weitaus mehr griechisch, als irgend etwas anderes. Selbst England zog mich nicht so an wie Griechenland. Ich konnte die englischen Freunde meiner Mutter nicht besonders gut leiden. Ich fand sie langweilig. Ihre Gespräche waren langweilig. Sie sprachen ständig von kranken Leuten. „Soundso wurde operiert, Soundso ist ‚arm dran’.“ Es war langweilig. Und dann die Kirche, die Kirche: „Was hat der Kardinal noch gleich in seiner Ansprache gesagt?“ Es war langweilig.

Aber ich hatte ja die griechische Kolonie und diese Griechen waren zumeist Griechen aus Asia Minor. Und sie hatten eine Idee, alle Griechen hatten diese Idee. Sie nannten sie die Megali Idee, die große Idee. Der Traum von einem Staat aller Griechen. Jener aus Griechenland natürlich, jener aus Thrakien, jener von der Küste Asia Minors am schwarzen Meer, jener von der Küste Asia Minors am Ägäischen Meer. Hauptstadt: Konstantinopel. Der Wiederaufbau des byzantinischen Reiches zum Vorteil der neuzeitlichen Griechen. Das war der jedermanns Traum. Selbst wenn sie eine Hochzeit oder eine andere Zeremonie abhielten, verkörperte der letzte Trinkspruch diese Idee: „Und laßt uns nach Konstantinopel ziehen, Kinder.“ Ich bin damit großgeworden.

Ich liebte Griechenland nicht wegen des antiken Griechenlands, was ich stets betonte. Natürlich liebte ich das antike Griechenland. Besonders liebte ich Sparta. Aber mich zog weniger das antike Griechenland als das moderne Griechenland meiner Zeiten und des Unabhängigkeitskrieges 1821-1830 an. Was ich im heutigen Griechenland mochte, war folgendes: Jenen, die ihnen sagten, daß sie auf Seiten der Alliierten in den ersten Weltkrieg eintreten sollten, um groß zu werden, um sich territorial auszudehnen, antworteten sie: „Wir sind klein, aber ehrenhaft.“ „Griechenland, klein und ehrenhaft.“ Diese Redewendung mochte ich sehr.

Und dann mochte ich noch einige Episoden der neuesten griechischen Geschichte, wie die Suli-Episode von 1799. Die griechischen Frauen des Dorfes Suli kämpften gegen die Türken. Und als sie sahen, daß die Türken die Klippe umzingelt hatten, auf dem sie sich befanden, und das die Männer, die unten kämpften, praktisch alle getötet wurden, hatten sie die Wahl zwischen türkischem Harem und dem Tod. Sie begannen einen Tanz. Sie faßten einander an den Händen und begannen auf der Klippe umherzutanzen. Sie sangen auch ein Lied, das in Griechenland heute beliebt ist. Ich könnte es vorsingen. Und jedesmal, wenn sich eine der Klippe näherte, warf sie sich hinab – zusammen mit ihrem Kind, wenn sie eines hatte, oder zusammen mit ihren Kindern, wenn sie mehr als eins hatte. Und alle zweihundertfünfzig von ihnen starben auf diese Weise. Ich empfand dieses Bruchstück moderner griechischer Geschichte recht erhebend. Und ich mochte es. Ich mochte es, mich als Landsmännin dieser Frauen zu fühlen.

3. Vier Kriege
Nun, ich habe Erinnerungen an vier Kriege. An den Balkankrieg von 1912-1913: Ich erinnere mich an die Neuigkeiten, die wir davon erfuhren, ich erinnere mich, wie ich daran Anteil nahm, wie froh ich war, als die Griechen am 26. Oktober 1912 Thessaloniki einnahmen. Es war der Namenstag des heiligen Dimitri, des Schutzpatrons der Stadt. Und ich erinnere mich an all die Dinge dieser Art, all die Daten des Balkankrieges. Ich verübelte es meiner Mutter, daß sie an einem Hut eine Schleife mit den Farben Bulgariens trug. Die waren zu jener Zeit in Frankreich in Mode. Ich sagte: „Warum trägst du die Farben Bulgariens? Die Bulgaren sind unsere Feinde.“ Und sie waren im Balkankrieg. Dann schon der erste Weltkrieg, 1914. Und  dann der Krieg, der mich am meisten beeinflußte: der griechisch-türkische Krieg von 1920-22. Und dann der zweite Weltkrieg.

Ich erinnere mich an den ersten Weltkrieg. Ich erinnere mich an die Schule, die ich besuchte, eine katholische Schule. Ich wurde auf eine katholische Schule geschickt. Und sie sagten uns: „Jetzt müßt ihr Geld in den Kasten vor der heiligen Jungfrau Maria werfen, damit sie die Alliierten segnet.“ Das mochte ich nicht. Warum sollte sie die Alliierten segnen? Sie war keine Französin. Sie war keine Engländern. Was hatte sie mit diesem Krieg zu tun? Ich erzählte meiner Mutter: „Mama, die kam doch aus Palästina. Warum sollte sie die Alliierten segnen und sie den Krieg gewinnen lassen?“ Ich sagte: „Steck kein Geld rein.“ „Natürlich, daß ist Unsinn.“ „Steck kein Geld in den Kasten.“ „In Ordnung.“

Und dann bekam ich eine Menge von Antworten, die mich irgendwie in keiner Weise befriedigten. Ich fragte ständig und wollte immer für mich selbst denken. 1914 passierte etwas. Sie erzählten uns: „Wie ihr seht, sind die Deutschen richtige Barbaren. Sie haben Belgien durchquert, ohne jemals bei der belgischen Regierung um Erlaubnis zu bitten.“ Ich sagte: „Alles klar, wenn man nicht um Erlaubnis bittet und ohne Erlaubnis ein Land durchquert, ist man ein Barbar. Recht einleuchtend.“

Aber 1915 landeten die Franzosen ohne Erlaubnis der griechischen Regierung in Thessaloniki in Griechenland. Und sie taten nicht nur das, sondern begannen auch noch damit, die Kluft zwischen Premierminister Venizelos und dem griechischen König, Konstantin I., zu vertiefen, der der Schwager des deutschen Kaisers war.1 Ich sagte: „Warum haben sie das getan? Sie sind Barbaren, wenn sie das getan haben. Wenn die Deutschen Barbaren sind, weil sie durch Belgien marschiert sind, dann sind die Franzosen Barbaren, weil sie in Griechenland gelandet sind. Und die Engländer sind Barbaren, weil sie 1916 die griechische Küste zehn Monate lang blockiert haben und nichts hindurchgelassen haben. Wenn man keine Güter nach Griechenland hineinläßt, wird Griechenland verhungern. Es produziert nur Olivenöl, Rosinen, Tabak und das ist auch schon alles. Davon kann man nicht leben. Was soll also diese Heuchelei?“

Und als dann Anfang Dezember 1916 der Streit zwischen Griechen und französischen Matrosen losbrach, die dort gelandet waren, gab es in Frankreich einen großen Rabatz – fünfundvierzig der Seeleute wurden in dem Streit mit den Griechen getötet –, was mich entrüstete. Und dann bombardierten die Franzosen und Engländer im Dezember ’16 Athen. Das nennen sie in Griechenland die „Novembertage“, weil der Kalender um dreizehn Tage verschoben ist.

Das brachte mich im ersten Weltkrieg völlig gegen die Alliierten auf. Ich nahm etwas Kreide aus der Schule mit und als mich am Abend niemand sehen konnte, begab ich mich hinter den neuerrichteten Bahnhof und schrieb „A bas les Alliés! Vive l’Allemagne!“ – „Nieder mit den Alliierten! Lang lebe Deutschland!“ – an die Wand.2 Ich wußte damals gar nicht, was Deutschland war. Deutschland war nur eine farbige Stelle auf der Landkarte. Trotzdem dachte ich, daß Deutschland niemals so heuchlerisch wäre, mir zu erzählen, daß einige Leute Barbaren sind, weil sie etwas tun und andere wiederum nicht, obwohl sie dasselbe tun. Diese kämpfen für die Freiheit und jene kämpfen für all die höchsten Werte.

Irgendwie verging die Zeit. Der erste Weltkrieg wurde beendet. Ich war auf deutscher Seite wegen der Heuchelei der Alliierten, wegen dem, was sie mir erzählt hatten: „Diese seien Barbaren, jene aber nicht. Diese kämpften für sich selbst, jene für die Demokratie.“ Ich sagte: „Ich mag diese Art von deux poids, deux mesures – zwei Gewichte und zwei Maße – nicht.“ Der Krieg wurde beendet und ich erinnere mich an etwas Schreckliches, die Schreie der Menschenmassen in den Straßen: „L’Allemagne paiera! L’Allemagne paiera!“ „Deutschland wird bezahlen! Deutschland muß bezahlen!“ Armes Deutschland. Es wurde komplett zermalmt, ebenso Österreich und noch immer schrieen sie gegen sie: „Es muß zahlen! Es  muß zahlen! Es muß zahlen!“ Ich haßte diese Art des Beharrens auf die Niederlage des Feindes. Es war nicht ritterlich. Es verletzte mein Ritterlichkeitsempfinden.

Eine andere Sache, die mich nach dem ersten Weltkrieg sehr schockierte, war die Tatsache, daß sie all die senegalesischen dunklen Truppen nach Deutschland schickten. Die Besatzer Deutschlands waren keine Franzosen. Sie waren Senegalesen. Und ich wußte, daß es Widerstand gab und ich bewunderte den Widerstand. Ich wußte nicht viel darüber. Aber ich wußte, was die Zeitungen erzählten. Und immer wieder dieser Gedanke, das besiegte Land zu demütigen. Nun, es hätte einfach beendet werden sollen. So wie es in der Antike gemacht wurde. Ich pflegte die Alliierten und die Deutschen mit den Helden des trojanischen Krieges zu vergleichen. Natürlich wußte ich über den trojanischen Krieg bescheid. Mir kam er wie ein zeitgenössischer Krieg vor, obwohl er 3.200 Jahre vor unserer Zeit stattfand. Nach den Kämpfen verkehrten die Helden miteinander. Sie trugen einander nichts nach. Ich hätte es gut gefunden, hätten die Alliierten einen solchen Geist erkennen lassen. Aber sie waren alles andere als ritterlich.


1 Eleftherios Venizelos (1864-1936), mehrere Male zum Premierminister Griechenlands gewählt, war während seiner politischen Laufbahn der Hauptfeind der griechischen Monarchie. In ihrem Brief an H.J. vom 1. Oktober 1980 behauptete Savitri, daß Venizelos Freimaurer gewesen sei, ein Faktum, das sie für recht bedeutend hielt. Konstantin I., König von Griechenland (1868-1923), herrschte zweimal: von 1913-17 und von 1920-22. Seine Gattin, Königin Sophie, lebte von 1870-1932.

2 Savitris Brief an H.J. vom 1. Oktober 1980 zufolge handelte es sich um den Bahnhof Gare des Brotteaux und der Spruch war in meterhohen Lettern geschrieben.