Die Entdeckung des Nationalsozialismus, 1923-32
Chapter 1, part 5 of
And Time Rolls On: The Savitri Devi Interviews
(Atlanta, Georgia: Black Sun Publications, 2005)
von Savitri Devi
Ediert von R.G. Fowler
Übersetzt von Wilhelm Hartmann
5. Die Entdeckung des Nationalsozialismus, 1923-32
Und dann kam langsam aber sicher die Hitlerbewegung auf. In jenen Tagen wußte ich nicht viel darüber. 1920 war ich vierzehn. Am 24. Februar 1920 wurde die Partei in München gegründet.1 Alles klar. Sehr langsam begann ich herauszufinden, daß es da einen deutschen Patrioten gab, der für sein Land kämpfte und gegen den Versailler Vertrag. Das heißt, er war der Gegner jener rasenden Leute, die ich in den Straßen hatte brüllen hören: „L’Allemagne paiera! L’Allemagne paiera!“ – „Deutschland muß bezahlen! Deutschland wird bezahlen!“ Ich mochte ihn. Ich mochte ihn als einen ausländischen Führer – aber das war auch eigentlich schon alles. Und dann hörte ich von seinem Ziel. Sein Ziel war es, alle Deutschen in einem Staat zu vereinen. Das gefiel mir. Das gefiel mir vor allem aus dem Grund, weil ich das Gefühl hatte, daß das meine eigene Idee sei, transponiert auf deutsche Ebene.
Ich war mit der Idee großgeworden, hatte mit ihr gelebt, die man im Griechischen die Megali Idee nennt, die große Idee eines Griechenlands aller Griechen, jener von Griechenland, die schon frei waren, jener Griechen Thrakiens, jener Griechen von der Küste Asia Minors, der Ägäischen Küste, der Schwarzmeerküste, Konstantinopels. Nun, in jenen Tagen lebten mehr als eine halbe Million Griechen in Konstantinopel. Es war sozusagen eine griechische Stadt. Der Wiederaufbau des byzantinischen Reiches mit Konstantinopel als Hauptstadt. Das wollte ich. Und ich sagte zu mir selbst: „Nun, wenn es einen Deutschen gibt, der dasselbe für sein Land will, wünsch’ ich ihm viel Glück. Ich bin absolut dafür.“ Und ich mochte besonders die Alliierten nicht. Ich mochte sie nie. Ich konnte die Sieger des ersten Weltkrieges nie leiden. Also um so besser.
Und ich pflegte alles zu verfolgen, was ich von ihm hörte und die erste große Sache, die ich von ihm hörte, war der Putsch vom 9. November 1923. Zu der Zeit war ich in Athen. Den Nachmittag des 9. November verbrachte ich auf der Akropolis. Daran erinnere ich mich. Und am nächsten Tag stand es in den Zeitungen. Am nächsten Tag hörte ich davon. Und meine Reaktion war: „Was für eine Schande, daß er keinen Erfolg hatte. Das wäre ein schöner Denkzettel für diese Schweine gewesen.“ (Entschuldigung.) Und die Frau, in deren Haus ich das sagte, eine Schweizer Dame, gerufen Mademoiselle Mauron, sagte mir: „Und wen bitte nennen Sie ‚diese Schweine’?“ Ich sagte: „Die Alliierten, Madame. Ich mag sie nicht. Ich wünschte, er hätte Erfolg gehabt. Ich wünsche mir wirklich, er hätte Erfolg gehabt.“ Irgendwie ging es aber vorbei. Mademoiselle Mauron mochte mich natürlich nicht. Aber das war mir völlig egal.2
Vorher hatte von ’20-’22 der griechisch-türkische Krieg stattgefunden und ich wußte, daß jene ehemaligen Alliierten des ersten Weltkrieges den Türken geholfen oder mehr oder weniger desinteressiert gezeigt hatten, und daß sie den Griechen geraten hatten, immer weiter vorzudringen und Asia Minor zu erobern. Aber geholfen haben sie ihnen nie, nicht einmal die Briten. Und was die Franzosen betraf: Herr Franklin-Bouillon unterschrieb im März 1921 während einer der griechischen Offensiven in Asia Minor einen Bündnisvertrag mit den Türken.3
Und ich sagte zu mir selbst: „Den Vertrag von Sèvres haben sie in Fetzen gerissen. Der war gerecht, hat Griechenland wenigstens einen Teil des griechischen Territoriums zugestanden. Sie rissen ihn in Fetzen und schon 1920, nach der Rückkehr König Konstantins nach Griechenland, nach den griechischen Wahlen zu Ungunsten Venizelos’, fingen sie an zu sagen: ‚Alles klar, wir werden den Vertrag von Sèrves in Stücke reißen.’ Wieso sollten nicht die Verträge von Versailles und St. Germain auch in Stücke gerissen werden, wenn es der Sache dienlich wäre? Wenn sie unseren Vertrag von Sèvres nicht anerkennen, warum sollte ich dann ihren Vertrag von Versailles anerkennen? Gut für Hitler.“
Ich war völlig auf seiner Seite, weil er gegen den Vertrag von Versailles war. Ich betrachtete den Vertrag von Versailles als eine Schande, besonders verglichen mit dem Vertag von Sèvres, der nicht ansatzweise so schlecht war. Der war eigentlich ganz gerecht. Der Vertrag von Versailles trennte Leute voneinander, die nicht getrennt werden sollten. Er brachte Leute zusammen, die nicht hätten zusammenkommen sollen. Die Tschechoslowakei ist das europäische Pakistan. Sie warfen Tschechen und Slowaken zusammen, die sich gegenseitig hassen. Und einige Ruthenen und ein paar Ukrainer und dreieinhalb Millionen Deutsche, die dort nicht dazugehören wollten, die zu Deutschland gehören wollten. Ich kann das nachvollziehen. Und ich dachte: „Wenn er ein Deutschland aller Deutschen will, will ich ein Griechenland aller Griechen. Gut für ihn.“ Damals nannte ich ihn aber noch nicht meinen Führer. Er war der Führer der Deutschen. Und ich mochte die Deutschen. Auch, wenn ich noch nie einen getroffen hatte.
Ich traf einen. Der erste Deutsche den ich traf, ich werde von ihm erzählen. Er hieß Geißler. Ich frage mich, ob er wohl noch lebt. Das war kurz nach dem ersten Weltkrieg, 1918. Monatelang, 1918, 1919, saßen deutsche Gefangene in Frankreich. Und ein Mann namens Lagrillon war der Leiter des Lagers in der Nähe von Lyon. Die Gefangenen errichteten da das Fundament des Krankenhauses. Das gibt es heute noch. Es wird die grange blanche4 genannt. Und dieser Herr Lagrillon lud meinen Vater und meine Mutter und mich ein, das Lager einmal an einem Sonntag zu besuchen. Und als wir im Lager waren, sagte er zu meinem Vater: „Ihre Frau ist doch Engländerin, oder? Und Ihre Tochter spricht Englisch? Nun, wir haben da einen deutschen Gefangenen, der ebenfalls Englisch spricht. Würden Sie ihn kennenlernen wollen?“ Meine Mutter sagte: „Natürlich, ich würde ihn gern kennenlernen.“
Also kam einer der Gefangenen herein, ein großgewachsener Mann, rotes Haar, rot-blond, mit einem sehr aristokratischen Aussehen und goldener Brille. Und er stellte sich vor. Ich weiß nicht mehr, ob er nun Geißler oder Geßler oder so hieß. Und meine Mutter unterhielt sich mit ihm und meine Mutter war Pazifistin. Sie sagte: „Es tut mir so leid, daß unsere beiden Länder so viele Jahre lang miteinander gekämpft haben. Wir sollten nie wieder Kriege führen. Es sollte Friede auf Erden sein und bla bla bla. Bla bla bla.“ – eine Menge Friedensgeschwätz.
Mein Vater verstand überhaupt kein Englisch. Und als mein Vater zu mir sagte: „Willst du jetzt etwas sagen? Du kannst auch Englisch.“, sagte ich: „Ja, warum nicht?“ Und ich sagte: „Ich bin froh, daß Sie der erste Deutsche sind, den ich kennengelernt habe. Wissen Sie, während des ersten Weltkrieges war ich auf Ihrer Seite, nicht auf der Seite der Alliierten. Aus keinem geringeren Grund als das sie Heuchler sind. Sie sagen dies und tun das. Das mag ich nicht. Aber Sie mag ich wirklich. Und ich wünsche mir, daß sie (die Deutschen) eines Tages die erste Nation sein werden, welche ganz Europa erobern und das vorherrschende Volk in Europa sein werden. Das wünsche ich mir. Das wäre diesen Leuten eine Lehre. Ich mag die Alliierten nicht.“ Ich wiederholte das zwei- oder dreimal. Und er lächelte, sagte kein Wort.
Ich frage mich, ob er während der Kampfzeit, der Zeit Hitlers Kampfes um die Macht, manchmal an mich gedacht hat, an jenes dreizehnjährige Mädchen, das ihm sagte: „Ich wünsche mir, daß Ihr Land Führer Europas wird.“ Natürlich weiß ich nicht, ob er sich daran erinnert oder nicht. Aber ich wüßte gern, ob er noch lebt. Er wäre nun – ich war ja damals dreizehn, er mag vielleicht zwanzig, zweiundzwanzig gewesen sein – bereits über achtzig, wenn er noch leben sollte, schließlich bin ich schon im meinem vierundsiebzigsten Jahr.
Und mit großer Sympathie verfolgte ich die Hitlerbewegung als Bewegung eines ausländischen Führers, der für sein Land kämpfte, mehr nicht. Zur gleichen Zeit hatte ich aber im Musée Guimet mit allen Religionen Asiens zu tun und mochte es, sie zu studieren, mochte sie. Ich mochte viele von ihnen. Ich mochte Shinto, die Nationalreligion Japans. Mir gefiel die hierarchische Idee, wie man sie in der hinduistischen Religion vorfindet: die Idee, daß in Indien alle Rassen der Welt repräsentiert sind, mit dem Arier an der Spitze. Es ist die einzige Religion der Welt, die einem sagt, daß der Arier über allen anderen Rassen zu stehen hat.
Und das, zusammen mit dem Studium der Bibel, brachte mich gegen die Juden auf. Meine Mutter schickte mich zu einer Art Sonntagsschule und ich lernte eine Menge. Ich hatte auch eine Tante, eine sehr fromme Tante, die die Juden als Gottes auserwähltes Volk bewunderte.5 Und sie ließ mich ihr jeden Sonntagnachmittag ein Kapitel aus dem alten und aus dem neuen Testament vorlesen. Und das tat ich auch. Und das Lesen der Bibel brachte mich einfach gegen die Juden auf. Ich lernte die Gegnerschaft zu den Juden nicht in Mein Kampf. Das Buch habe ich nicht lesen können, bevor es erschienen ist. Und in jenen Tagen war es noch nicht veröffentlicht. Ich lernte die Gegnerschaft zu den Juden aus der Bibel. Nirgendwo anders. Besonders aus dem alten Testament. Ich sagte zu meiner Tante: „Warum sollte ich dieses Volk bewundern, die sagen, sie seien Gottes auserwähltes Volk? Wie geschmacklos, dieses Volk auszuwählen. Ich hätte die Griechen oder die Briten oder die Deutschen oder ein anderes Volk, vielleicht die Indianer, ausgewählt, aber nicht dieses.“ „Warum?“ „Nun, sie haben Lebensweisen, die mir nicht gefallen.“
Zum Beispiel gibt es da eine Frau namens Jaël. Sie kommt vor in Richter, fünftes Kapitel, glaube ich. In Deboras Siegeslied in Richter wird sie „gesegnete Frau, gesegnet unter allen Frauen, die in Zelten leben“ genannt.6 Und sie ist die einzige in der ganzen Bibel, die „gesegnet unter allen Frauen“ genannt wird, außer der heiligen Jungfrau Maria, der Mutter Christi. Warum wird sie „gesegnet unter allen Frauen“ genannt? Weil nach dem Kampf vom Berge Tabor, als die Amalekiter vor den Juden flohen, das Oberhaupt der Amalekiter, der General Sisera, zu ihrem Zelt in der Wüste ging, dem Zelt der Jaël, der Frau von Heber dem Keniter, und ihr sagte: „Ich bin durstig, gib mir Wasser.“ (Ich weiß, was es bedeutet, in der Wüste Durst zu haben. Ich habe die Wüste durchquert. In jenen Tagen wußte ich das natürlich noch nicht, aber ich wußte, was es hieß, Durst zu haben.) Und sie sagte: „Gut, komm in mein Zelt, und ich werde dir Wasser geben, und nicht nur Wasser, ich werde dir Milch geben, und du kannst hier schlafen.“ Und er trat ein. Sie gab ihm Milch. Sie bettete ihn zur Ruhe auf irgendwas, auf einem Feldbett vielleicht, und während er schlief – so heißt es in der Bibel, ich habe das nicht erfunden –, nahm sie einen von diesen Pflöcken, mit denen man das Zelt befestigt, und hämmerte ihn durch seinen Kopf, und dann ging sie hinaus und rief die Juden und sagte: „Kommt her, kommt her. Ich habe euren Feind Sisera getötet. Kommt und seht ihn.“ Und für diesen Akt der Feigheit wird sie „gesegnet unter allen Frauen“ genannt. Ich mochte das nicht. Ich sagte: „Na, wenn das jüdischer Mut ist, herzlichen Dank.“
Auch die Episode über Agag, den König der Amalekiter, der dem sogenannten Propheten Samuel übergeben wurde und auf einem Steinaltar lebendig in Stücke geschnitten wurde, gefiel mir nicht.7 Warum? Weil Samuel seitens Gottes, Saul, dem König der Juden, gesagt hatte, Gefangene nicht zu verschonen. Tötet sie alle, die Frauen, die Säuglinge und das Vieh. Tötet jeden der Amalekiter. Und er tat das nicht. Er behielt sie als Sklaven. Die Tiere behielt er, um sie später essen zu können. Er behielt auch Agag. Und Samuel sagte: „Weil du das Wort Gottes nicht befolgt hast, bist du von dieser Minute an nicht mehr König Israels. Und wo ist Agag?“ „Er ist hier.“ „Gut.“ Und er schnitt ihn bei lebendigem Leibe in Stücke. Das fand ich für einen Propheten schon sehr scheußlich.
Und auch die Episode über David, den sehr guten König im zweiten Buch Samuels, Kapitel 12, Vers 30 und folgende, in denen davon erzählt wird, wie er nach der Eroberung Rabbas, der Hauptstadt der Ammoniter, einige Gefangene einfach mit dem Schwert erstach, sie entzweischneiden ließ und das andere lebend in Ziegelöfen gesteckt wurden, gefiel mir nicht. Na vielen Dank. Und überdies waren jene Ammoniter Menschen von der mehr oder weniger gleichen Rasse wie die Juden. Sie waren die Kinder des Ben Ami, des Sohnes einer Tochter von Lot, die ihren eigenen Vater heiratete, genauso wie die Moabiter, die Söhne des Moab, des Sohnes einer anderen Tochter Lots, die sie zusammen mit ihrem Vater hatte.8 Aber sie waren Semiten und den Juden sehr ähnlich, beteten aber nicht den jüdischen Gott an. Das war der einzige Unterschied. Die Ammoniter beteten Milkom an und die Moabiter Kemosch. Was ist der Unterschied? Warum sollten Leute wegen ihrer Götter zanken? Ich verstand das überhaupt nicht und mochte das „auserwählte Volk“ nicht. Ich sagte: „Warum sollten sie auserwählt sein?“
Und warum sollte das Christentum, das ja davon abstammt, eine internationale Religion sein? Wir hatten auch vorher Religionen. Wir hatten unsere eigenen Nationalreligionen. Wir waren Hellenen. Wir hatten die Religion der Römer. Wir hatten unsere nordischen Religionen in Deutschland, in Rußland, in Frankreich mit den Kelten, den Druiden und all dem. Ich mochte diese alten Religionen, ich wollte auf sie zurückgreifen.
Aber ich sagte: „Um ehrlich zu sein, mag ich etwas an der byzantinischen Kirche. Ich mag die Kirchengesänge und ich mag die Zeremonien. Die christlichen Werte mag ich nicht, aber ich mag die orthodoxe Kirche. Bevor ich irgend etwas tue, muß ich die Wiege des Christentums sehen.“ Ich hatte die alte arische große Idee. Ich sagte: „Warum haben wir eigentlich unsere Götter gewechselt? Aber ich werde mir mal anschauen, wie es in Palästina aussieht. Wie sieht die Wiege dieser fremden Religion aus?“ Und ich ging dorthin.
Also schloß ich mich im April ’29 in Griechenland einer griechischen Wallfahrt nach Palästina an, dritte Klasse. Es war günstig und wir sollten vierzig Tage in Palästina bleiben. Wir blieben bis Ende Mai, bereisten das Land durch und durch. Ich war schockiert. Ich sah diese alten Frauen und einige junge, mit dünnen Bäuchen, die stets den heiligen Boden küßten, wenn sie irgendeine Reliquie aus den Tagen Christi sahen. Und wohlgemerkt waren die alle gefälscht. Kennen Sie dieses Tuch mit den Umrissen Christi drauf?9 Davon gibt es weltweit nicht nur eins, sondern neununddreißig. Und ich weiß nicht wie viele Vorhäute. Eine Vorhaut des kleinen Jesus befindet sich im Vatikan. Ich meine, etwa neunzehn oder zwanzig sind in aller Welt verstreut. Er hatte aber keine neunzehn Vorhäute, sondern natürlich nur eine. Jeder Mann hat eine. Die Verdrehungen, die Anzeichen der Begeisterung angesichts des kleinsten Anlasses und dieses Verhalten des gelobten Landes wegen, das ich als wirklich unterwürfig bezeichne.
Ich war auch von der fremden Atmosphäre des Landes schockiert. Ich fühlte mich in ein von Griechenland völlig verschiedenes Umfeld versetzt. Von Europa natürlich, aber selbst von Griechenland, das ein orientalisches Land ist. In Griechenland sagen wir: „Ich gehe nach Europa“, wenn wir nach Italien gehen. Europa wird als etwas völlig anderes betrachtet. Alles, was unter westlich-römischer Herrschaft war, ist Europa. Was vom byzantinischen Reich beeinflußt wurde, das heißt Griechenland, der Balkan, Rußland – das ist nicht Europa. Das ist was anderes. Nun, wenn auch nicht geographisch, so liegen sie doch ideologisch richtig. Griechenland ist nicht Europa. Ebensowenig Rußland. Und auch der Balkan nicht. Was auch immer dem byzantinischen Reich unterstand, gehört in der griechischen Sprache bis zum heutigen Tage nicht zu Europa.
Ich schaute mir das also alles an und ich sagte: „Hm, Heiliges Land? Was ist denn das Heilige Land? Das Heilige Land für die Griechen ist Griechenland. Das Heilige Land für die Deutschen ist Deutschland. Warum sollte Palästina das Heilige Land der Griechen sein? Warum sollten wir in griechischen Schulen die Geschichte der Juden ‚heilige Geschichte‘ nennen? Was ist daran heilig?“ Und ich verstand, daß sich das ganze Europa seit Jahrhunderten in der Gewalt, in der spirituellen Gewalt, fremder Menschen befunden hat. Wir besuchen Kathedralen, diese schönen Kathedralen und sehen die jüdischen Propheten – Moses und all die anderen – zusammen mit den Heiligen und die Heiligen sind Juden, die meisten von ihnen. Einige natürlich nicht. Aber die meisten von ihnen sind Juden. All die ersten Heiligen sind Juden. Die Apostel ebenfalls. Nun, Jesus soll auch einer gewesen sein. Und warum sollten wir uns vor diesen verneigen? Warum verneigen wir uns nicht vor unseren eigenen Leuten? Wir haben Philosophen. Wir brauchen die Kirchenväter nicht. Nun, tatsächlich haben die Kirchenväter eine ganze Menge arischer Philosophie ihrer jüdischen Tradition einverleibt. Aber das ist eine Sache für sich. Ich sagte: „Meine Güte, was für ein Einfluß des Judentums, was für einen festen Griff das Judentum auf unsere Rasse hat. Warum sollten wir uns in dieser Gewalt befinden? Wer wird uns aus dieser Gewalt befreien? Wer wird uns unser eigenes Selbst wiedergeben?“
Und plötzlich dämmerte es mir, irgendwann im April 1929 – ich weiß nicht, ob es am 20. war… ich hoffe, es war der 20. – und ausgerechnet in Palästina, daß dieser fremde deutsche Führer, der alle Deutschen in einem Staat wollte und der die Abschaffung der Verträge von Versailles und St. Germain anstrebte, in Wirklichkeit viel mehr als das wollte, viel mehr. Und viel mehr heißt: die Freiheit Europas, die Freiheit der arischen Rasse von jeder Art jüdischer spiritueller Bevormundung. Er ist derjenige, der uns davon befreien wird. Na, und wenn er das ist, dann ist er nicht nur der Führer der Deutschen, er ist auch mein Führer. Mein Führer. Und von diesem Tage an fühlte ich, nicht daß ich eine Nationalsozialistin wurde – ich wurde nie eine –, sondern daß ich immer eine gewesen war, ohne es zu wissen. Das war es, was ich fühlte. Und ich begann darüber nachzudenken, nach Deutschland zu gehen und der Bewegung beizutreten. Es war die Befreiungsbewegung.
Aber dann kam mir eine andere Überlegung. Ich hatte gerade erst mit einundzwanzig offiziell die griechische Staatsbürgerschaft angenommen. Ich fand nicht, daß ich die französische Staatsbürgerschaft behalten sollte, wenn ich mich Griechenland zugetaner fühlte als Frankreich. Im griechischen Heimatministerium, dem Innenministerium, wie sie es nennen, sagten sie mir: „Frau Portassi, wieso tun Sie das? Sie werden keinerlei Vorteil haben, wenn Sie die griechische Staatsbürgerschaft annehmen, Ihre Diplome sind alle französisch. Sie haben Ihre gesamte Ausbildung in Frankreich absolviert. In Frankreich stünde Ihnen eine Karriere bevor, in Griechenland nicht.“ Ich sagte: „Das ist mir egal. Ich werde weder die Landsmännin von Herrn Franklin-Bouillon sein, der 1921 den geheimen – nun ja, mehr oder weniger geheimen – Vertrag mit den Türken geschlossen hat, noch diejenige des Generals Sarrail, der ohne Erlaubnis der griechischen Regierung 1915 in Thessaloniki anlandete.10 Und das ist alles was ich will.“ „Von was wollen Sie leben?“ „Ich werde Unterrichtsstunden geben.“ „Aber das kann jeder ohne Diplome machen.“ Ich sagte: „Ist mir völlig egal.“ Er sagte: „Wenn Sie alt und ohne Rente und Arbeit sind, werden Sie es bereuen.“ Nun, jetzt bin ich alt und es tut mir leid, jenen, die mir das Gegenteil rieten, sagen zu müssen, daß ich es nicht bereue. Ich bereue keinerlei aufrichtiges Handeln.
Die Leute erzählten mir allerlei Dinge. „Du wirst es bereuen, dieses nicht zu wissen. Du wirst es bereuen, jenes nicht zu wissen, dieses oder jenes nicht auszuprobieren.“ Ich sagte: „Es gibt so viele Dinge, die ich nicht ausprobieren kann.“ „Verliebt zu sein, sich niemals zu verlieben. Das wirst du eines Tages bereuen.“ Ich bereue es kein Stück. Ich bereue, daß ich Peru nicht gesehen habe. Ja, das bereue ich. Und ich bereue, daß ich Deutschland niemals während der großen Tage gesehen habe. Ich kam nicht hin.
Dennoch dachte ich in jenen Tagen: „Also wenn ich nach Deutschland gehe, werden sie sagen: ‚Diese Frau war von Geburt her Französin. Sie nahm die griechische Staatsbürgerschaft an, als sie einundzwanzig war. Ist sie ein Spion oder so was in der Art?’“ Es würde Mißtrauen geben. Also dachte ich mir: „Nein, ich werde hier in Griechenland selbst für die alte Ideologie zu arbeiten beginnen, die alte heidnische Ideologie.11 Und wenn es dort nicht klappt, muß ich woanders hingehen. Aber ich werde erst nach Deutschland gehen, wenn ich etwas vorzuzeigen habe, einen Erfolg, den ich irgendwo anders gehabt habe. Vorher werde ich nicht nach Deutschland gehen. Besonders nicht jetzt in der Zeit des Kampfes. Also hielt ich mich da raus.
In Griechenland traf ich auf die Opposition der Leute, die die Kirche liebten: „Sie stellen sich gegen die Religion unserer Väter.“ Ich erzählte ihnen: „Du liebe Zeit, was meinen Sie mit der Religion Ihrer Väter? Wenn niemand aus Ihrer Familie sich je gegen die seiner Väter gestellt hätte – das heißt, gegen die olympischen Götter –, wären Sie nun kein Christ. Warum also beschuldigen Sie mich?“ Trotzdem erschien es mir nach ein oder zwei Jahren, daß ich nichts ausrichten konnte. Ich ging zurück nach Frankreich. Ich erwarb meinen L. Sc. In Chemie, Physik-Chemie. Und dann begann ich mit meiner Doktorarbeit, meiner ersten Arbeit, La simplicité mathématique, was ist mathematische Simplizität?
1 Am 24. Februar 1920 wurde lediglich das 25-Punkte-Programm vorgestellt. Die Gründung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) wurde am 5. Januar 1919 vollzogen, die Umbenennung in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) erfolgte am 7./8. August 1920 (vgl. Dr. Hans Volz: Daten der Geschichte der NSDAP (Berlin-Leipzig: Gerster, 1935), S. 2f.).
2 Vgl. Pilgrimage (Kalkutta: Savitri Devi Mukherji, 1958), S. 105f.
3 Henry Franklin-Bouillon (1870-1939) unterschrieb die Vereinbarung mit Atatürk am 20. Oktober 1921 in Ankara.
6 Die Geschichte von Jaël findet sich in Richter 4, Deboras Siegeslied in Richter 5.
7 Erstes Buch Samuel, Kapitel 15.
8 Erstes Buch Moses, Kapitel 19, Vers 37-38.
9 Gemeint ist wohl das Grabtuch von Turin.
10 General Maurice Sarrail (1865-1929), Kommandierender über französische Truppen aus Gallipoli, landete am 5. Oktober 1915 in Thessaloniki an.
11 In Defiance beschreibt Savitri ihre heidnische Missionarsarbeit in Griechenland (Defiance, S. 432f.).