Der älteste bekannte Brief, der von Savitri Devi erhalten ist, handelt von der Religion und Philosophie des Pharaos Echnaton und richtet sich an einen äußerst namhaften Adressaten: an Aldous Huxley (1894–1963), den Romancier, Essayschriftsteller und spirituellen Sucher, zu dessen zahlreichen Werken etwa der bekannte dystopische Roman Brave New World (Schöne neue Welt1 (dt. 1932)) (1932) gehört, ferner The Perennial Philosophy (1945) (Die ewige Philosophie (dt. 1949)), ein Kompendium der Ideen östlicher wie westlicher Mystiker, und The Doors of Perception (1954) (Die Pforten der Wahrnehmung (dt. 1954)), eine der ersten Arbeiten über die mystische Bedeutung psychedelischer Drogen.
Savitri veröffentlichte vorliegenden Brief im Vorwort zu ihrem Buch A Son of God: The Life and Philosophy of Akhnaton, King of Egypt (engl. „Ein Sohn Gottes: Leben und Philosophie Echnatons, des Königs von Ägypten“) von 1946.2 Huxley gestattete ihr, Auszüge aus zweien seiner Briefe zu zitieren: desjenigen, auf den ihr Brief die Antwort darstellte, sowie seine Erwiderung an sie. Savitris Verteidigung von Echnatons Diesseits-Mystizismus läßt eine starke Beeinflussung durch Nietzsches Kritik an Jenseits-Religionen durchscheinen, und ruft seine Ermahnung ins Gedächtnis, „der Erde treu“ zu bleiben, dem Körper und der physischen Welt im allgemeinen.
—R. G. Fowler
[Anm. d. Übers.: Die Groß- und Kleinschreibung der nachfolgenden Texte folgt – soweit möglich – dem englischen Original.]
Aldous Huxley an Savitri Devi:
Llano, Kalifornien3
27. November 1944
. . . Auch bin ich mit einer Naturreligion nicht so recht glücklich, gleichgültig wie erhaben und universell diese auch sei, was ja Echnatons Sonnenverehrung auch unzweifelhaft war. Solch eine Religion bekräftigt, daß der Mensch wesenhaft in der Welt zu Hause ist. Doch die Wahrheit ist sicher, daß man sich das Recht, in der Welt zu Hause zu sein, verdienen muß, indem man zunächst für die Welt und das Selbst stirbt. Nur vom Selbstlosen kann die Ewigkeit in der Zeit wahrgenommen werden, das Nirwana im Samsara. Wenn man anhand seiner Sonnengesänge urteilt, so scheint Echnaton geglaubt zu haben, daß man Gott in der Welt erkennen kann, ohne zuvor für Welt und Selbst gestorben zu sein. Doch all die Meister östlicher und westlicher Spiritualität würden sagen, dies sei eine Illusion. Echnatons Beharren darauf, ‚in der Wahrheit zu leben‘, sowie sein Kult der Einfachheit und Natürlichkeit erinnern an den Taoismus. Doch während der Taoismus beständig auf der Selbst-Ausnichtung und Bescheidenheit herumreitet und das Ausüben einer Yoga-Art einschärft, die darauf gerichtet ist, den Verstand zu reinigen und ihn in die Lage zu versetzen, das Ur-Tao oder die Gottheit jenseits des persönlichen Gottes und der stofflichen Welt zu erkennen, [währenddessen] scheint Echnatons Sonnenverehrung nichts hiervon zu tun. Aus diesen Gründen fällt es mir schwer, Ihre sehr hohe Wertschätzung des Aton-Kultes zu teilen. Es kommt mir vor, als sei Echnaton einer derjenigen, die sich – in den Worten William Laws – Gott zugewandt haben, ohne sich von sich selbst abzuwenden. Deshalb ist seine Religion nur die eine Hälfte einer wahren Weltreligion . . . 4
Savitri Devi an Aldous Huxley:
Kalkutta5
5. Juli 1945
Ich kann nichts sagen, als daß ich selbst in einer Religion etwas anderes suche, als Sie suchen sowie all jene, die nicht „wesenhaft in der Welt zu Hause“ sind.
Der Gott, Welchen Echnaton erreichte – ohne, wie Sie ganz richtig sagen, „zuvor für Welt und Selbst gestorben zu sein“ –, war ein unpersönlicher, immanenter Gott, von seiner Natur her nicht-verschieden vom Universum – das „Hitze-und-Licht-in-der-Scheibe“, welches mit der Sonnenscheibe eins ist; Kosmische Energie, die untrennbar ist von und letzten Endes eins mit dem, was unseren Sinnen als „Materie“ erscheint; der einzige Gott, so scheint es – wenn es überhaupt einen gibt –, den man heute noch immer als im vollkommenen Einklange mit den jüngsten Schlüssen der modernen Naturwissenschaft stehend betrachten kann. Er war zugleich ein Gott, der vom tieferen Selbst des jungen Sonnenpropheten nicht-verschieden war; ein Gott „in deinem Herzen“, wie Echnaton in seinen Gesängen sagt, und es „gibt keinen anderen, der dich kennt, außer deinem Sohn“.
Dieser Gott, sowohl in der stofflichen Welt – in der feurigen Sonnenkugel – als auch im tieferen Selbst erfaßt, scheint mir Derselbe zu sein, den so viele Seher aus Ost und West allein in ihrem tieferen Selbst erfaßt haben – das „Prinzip der Integration aller Dinge“, wie Sie Ihn in so vielen Passagen Ihrer Bücher charakterisieren.
Und wenn für Sie „die Welt“ nichts anderes bedeutet als diese stoffliche Welt mit ihren Vergnügungen und ihren Bequemlichkeiten, dann würde ich sagen, daß, nach meiner bescheidenen Einschätzung, Echnatons Glanz – nein, seine einzigartige Stellung unter großen religiösen Lehrmeistern aller Zeiten – in ebenjener Tatsache begründet liegt, daß er – weit davon entfernt, der Süße des körperlichen Lebens, der Schönheit von Form und Farbe, den kultivierten Vergnügungen der Sinne den Rücken zu kehren – das Bewußtsein der Einen Wirklichkeit erlangt hat, inmitten all dessen und durch all dieses, ganz natürlich – als sei keinerlei Anstrengung damit verbunden.
Es kann sein, es ist sogar wahrscheinlich, daß die meisten derjenigen, die das Göttliche verwirklicht haben, dies nicht vermocht hätten, wären sie seinem Weg gefolgt. Es kann sein, daß es kaum Menschen gibt, die von Natur aus so ausgewogen beschaffen sind, daß sie in der Lage wären, ihm zu folgen. Doch ich vermag nicht zu verstehen, weshalb Sie zu glauben scheinen, daß sein Kurs – konsequent bis zu seinem Ende verfolgt – einen Menschen nicht zu seinem schlußendlichen Ziel des Gottesbewußtseins „führen kann“ und weshalb die Religion der [Sonnen-]Scheibe mit ihrer spontanen, fröhlichen Weisheit in Ihren Augen „nur die eine Hälfte einer wahren Weltreligion“ ist. Könnte man nicht ebendiese Kritik gegen eine jede Religion ins Feld führen, die willkürlich eine Hälfte der Wirklichkeit ausblendet – namentlich die Wirklichkeit der wunderschönen natürlichen Welt, in der Echnaton in der Tat „zu Hause“ war, wie anscheinend alle Menschen es sind, die in erster Linie Künstler sind?
Und ich muß einfach glauben, daß jene wenigen, die wirklich „wesenhaft in dieser Welt zu Hause“ sind und die zugleich in und durch sie das Bewußtsein von deren ewiger Essenz erlangen können und auch erlangen; daß jene, die wie Echnaton „die wunderschöne Welt der Formen und Farben – die Welt der Sinne – transzendieren, ohne deren unendlichen Wert weniger zu fühlen“ (ich gestatte mir, diese Worte aus meinem unveröffentlichten Buch zu zitieren); [daß jene] vollständiger sind, harmonischer, mit mehr gottgleicher Eleganz ausgestattet als die Großen, die „zuvor für die Welt sterben“ müssen, um sie zu transzendieren. Die meisten dieser Menschen nähern sich Gott, so scheint es, in erster Linie metaphysisch und ethisch an. Echnatons Annäherung ist eine grundlegend ästhetische. Selbst noch sein Rationalismus scheint – nicht weniger als seine Auffassung von moralischer Wahrheit – aus seinem Sinn für Schönheit zu erwachsen. So zumindest empfinde ich es, und in meinem Buch habe ich versucht, ihn in diesem Lichte darzustellen.
Wenn Sie aber mit „der Welt“ vielmehr jene Anhaftungen und Interessen meinen, die der absoluten Treue den Prinzipien gegenüber, zu denen man sich bekennt, im Wege stehen (und folglich im Wege der eigenen Seele auf ihrem Fortschritt), dann würde ich sagen, daß niemand vollständiger „für die Welt gestorben“ sei als eben Echnaton. Mit gelassener Losgelöstheit hat er die an erster Stelle stehenden Reichsinteressen beiseite gewischt; nein, er verzichtete auf alle Chancen, daß seine wunderschöne Religion in Form eines organisierten Kultes unter den Menschen überlebe – in Form eines Kultes, der, hätte er damals einen festen Griff um Ägypten schließen können, vielleicht heute noch einer der großen lebendigen Kulte des Westens wäre. Er verzichtete ohne Bedauern auf sie, denn er erkannte, daß Wahrheit mehr wert ist als Erfolg. Lag nicht darin gewissermaßen ein „Sterben für Welt und Selbst“? Und wenn er das tun konnte, liegt es dann nicht nahe anzunehmen, daß er nicht weniger leicht den gewöhnlichen Freuden der Welt zum Wohle ebenjener Wahrheit entsagt hätte, wäre dies für ihn notwendig gewesen?
Doch die Natur seiner Religion selbst machte solch eine Entsagung unnötig. Und ich wiederhole, daß es genau diese perfekte Mischung von heidnischem joie de vivre, von rationalem Denken und von einer Liebe ist, welche universeller ist als jene, die in den Evangelien aller anthropozentrischen Religionen gepredigt wird – einer Liebe aller Kreatur zu Ihm, Welcher diese nährt und über ihr scheint; daß es diese Einheit ist, in einem Manne!, von einer ästhetischen Betrachtung, die jene der Griechen vorwegnimmt, und von solch liebender Güte, wie sie nur von einigen der großen indischen Lehrer erreicht wird (aber ohne das Asketentum dieser oder der Christen); daß es diese Vielfalt harmonischen Lebens – des körperlichen und des spirituellen – ist, in dem die allgegenwärtige immanente Gottheit beständig gespürt wird; [all dies] zwingt mich, in Echnaton eine Person zu erblicken, die in der Geschichte einzigartig dasteht, und den Anspruch auf jenen Titel zu verfechten, mit dem er sich in seinen Sonnengesängen selbst belegt, und den er voll und ganz verdient, namentlich jenes des „Sohnes der Sonne“, d. h. „Sohnes Gottes“.
Mit meinem bißchen Wissen über den Taoismus – von dem ich nur durch eine englische Übersetzung des Tao te king samt englischsprachigem Kommentar eine Ahnung habe – glaube ich, wie Sie, daß Echnatons Beharren darauf, „in der Wahrheit zu leben“ und sein Kult der „Einfachheit und Natürlichkeit“, dessen eingedenk ist oder vielmehr daß die Weisheit des chinesischen Weisen derjenigen Echnatons eingedenk ist, die mehr als achthundert Jahre älter als jene ist. Doch ich vermag keinen großen Unterschied zwischen Laotses „Ur-Tao“ oder Gottheit und Echnatons „Schu“, d. h. „Hitze-und-Licht“ – [also] Energie – „in-der-Scheibe“, zu erkennen; sein „Ka“ oder die Seele der Sonne scheint, wie ich eingangs sagte, nichts anderes zu sein als eine unpersönliche Essenz allen Seins, des materiellen wie des immateriellen – kein persönlicher Gott irgendeiner Art.
Nur die Weise, auf die sich der junge Pharao an Gott annähert, beeindruckt mich – und spricht mich an – als eine wesenhaft künstlerische, nicht als eine metaphysische.
6
Aldous Huxley an Savitri Devi:
Llano, Kalifornien7
3. Februar 1946
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. . . Vielleicht bin ich darin gescheitert, Echnaton zu verstehen; doch hat es für mich noch immer den Anschein, daß er die grundlegende Frage des Menschen – die Ewigkeit mit der Zeit zu versöhnen – nicht beantwortet hat und daß die wahren Antworten anderswo zu finden sind, bei Laotse etwa, im Zen, bei [Meister] Eckhart . . .8